Be mindful - Für mehr Achtsamkeit im Alltag
Achtsamkeit ist keineswegs ein Modebegriff. Sie findet sich bereits seit vielen Jahrtausenden in den ostasiatischen Ländern verwurzelt. Jon Kabat-Zinn entwickelte in den 90er Jahren auf ihrer Basis das 8-wöchige Programm „MBSR – Mindfulness-Based Stress Reduction“, welches seitdem bei unterschiedlichen Krankheitsbildern wie Stress, Depressionen, Ess- oder Zwangsstörungen eingesetzt wird. Aktuell erlebt die Achtsamkeit einen erneuten Aufschwung, bekräftigt durch die vergangenen Monate, in denen viele von uns mehr Zeit erhalten haben, sich intensiver mit sich selbst und ihrer Umwelt auseinander zu setzen.
Im Volksmund wird der Begriff Achtsamkeit häufig mit Ordnung, Ruhe und Rücksichtnahme in Verbindung gesetzt. Die Wissenschaft hingegen bezieht sich auf Achtsamkeit im Sinne von „Mindfulness“, dem englischen Begriff für Achtsamkeit. Sie untersucht die Achtsamkeitspraxis, bei der es immer wieder darum geht, seine Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment verweilen zu lassen. Viele Studien beruhen dabei auf den Effekten des MBSR-Programms von Kabat-Zinn, das klassische Achtsamkeitsübungen umfasst, die auch im Rahmen der Achtsamkeitstrainerausbildung an der ALH-Akademie gelehrt werden. Bei diesen Übungen richtet man seine Aufmerksamkeit auf absichtslose, ziellose Art und Weise auf den augenblicklichen Moment. Was dabei entsteht, ist eine Geisteshaltung, die man „mindful“ nennt. Sie ist gekennzeichnet von Gegenwärtigkeit, Gleichmut und innerer Sammlung.
Achtsamkeits-fördernde Haltungen
In der Achtsamkeitspraxis nimmt unsere innere Einstellung einen sehr hohen Stellenwert ein. Denn sie beeinflusst wesentlich, wie wir etwas wahrnehmen. Im MBSR-Programm werden sieben innere Einstellungen angeführt, welche von uns entwickelt und gefestigt werden sollen, um als Fundament zu dienen:
1. Nicht-Urteilen
Unser Gedächtnis ist darauf ausgelegt, Erfahrungen automatisch zu kategorisieren und zu bewerten. Dies geschieht meist reflexartig und unbewusst. In der Achtsamkeitspraxis versuchen wir zum einen diesen urteilenden Geist zu erkennen und zum anderen bewusst zu reagieren.
2. Geduld
Vor allem zu Beginn des Achtsamkeitstrainings schweift unser Geist immer wieder ab und bemerkbare Veränderungen lassen sich nicht sofort erkennen. Mit Geduld können wir jedoch akzeptieren, dass alle Dinge ihre Zeit benötigen und uns dem Bekannten immer wieder mit neuem Interesse zuwenden.
3. Anfänger-Geist
Beeinflusst durch unseren urteilenden Geist begegnen wir Situationen bereits mit einer Voreinstellung. Mit der Achtsamkeitspraxis können wir üben, im Alltäglichen auch wieder das Besondere zu sehen und Gewohntes mit frischem Blick zu betrachten.
4. Vertrauen
Um uns auf das Achtsamkeitstraining einzulassen, sollten wir uns dem Neuen öffnen und geduldig auf den Prozess und in uns selbst vertrauen.
5. Nicht-Erzwingen
Der Achtsamkeitspraxis sollte nicht wie unserem üblichen Handeln ein Ziel zu Grunde liegen. Vielmehr sollten wir darauf bedacht sein, in diesen Momenten lediglich wir selbst zu sein und im Moment zu verweilen, anstelle in die Zukunft zu denken.
6. Akzeptanz
Um unsere Achtsamkeit entwickeln zu können, ist Akzeptanz als innere Haltung wichtig. Wir sollten keine Energie auf inneren Widerstand gegen Dinge verwenden, die bereits Realität sind. Denn nur auf den aktuellen Moment können wir Einfluss nehmen.
7. Loslassen
Alles ist vergänglich. Deshalb ist es wichtig, loslassen zu können. Wir versuchen an positiven Gedanken festzuhalten, während wir negative gerne verdrängen. Um für den Moment offen zu sein, müssen wir lernen, die Gedanken loszulassen und zu beobachten was passiert.
Was bringt uns Achtsamkeit?
Die Reduktion von Stress und eine bessere Regulation von Emotionen und sorgenhaften Gedanken sind nur ein kleiner Ausschnitt der wissenschaftlich belegten Effekten von Achtsamkeit. Weltweit finden dazu Studien an Universitäten wie in Chicago, Massachusetts, Freiburg und Harvard statt. So wirkt sich Achtsamkeit erwiesenermaßen positiv auf psychische und physische Gesundheit aus und erhöht die Lebensqualität. Auch mehr innere Ruhe, Gelassenheit und Resilienz, ein allgemein stabiler Gesundheitszustand, vermehrte Konzentration im Studium, im Arbeitsleben oder einfach der Genuss von Entschleunigung und Stille sind Gründe, warum das Thema Achtsamkeit in der Gesellschaft immer mehr in den Vordergrund rückt. Während sich manche Effekte bereits nach kurzer Zeit des Übens sichtbar machen, benötigen andere eine längere Zeit des Praktizierens.
Kurzum: In den Genuss der inneren Zufriedenheit, welche durch die Achtsamkeitspraxis erlangt werden kann, möchten immer mehr Menschen kommen, während die Abhängigkeit von äußeren Einflüssen abnimmt. Um diese Entwicklung zu unterstützen, hat die ALH-Akademie die 12-monatige Ausbildung zum „Achtsamkeitstrainer“ konzipiert. Dabei wurde besonders darauf geachtet, die Teilnehmer darauf vorzubereiten, mittels einem breitem Methodenspektrum des Achtsamkeitstrainings sowie Erkenntnissen der Resilienz, der positiven Psychologie und der achtsamen Kommunikation, nachhaltige Konzepte und Trainings anbieten zu können.
Achtsamkeitstrainer benötigen vorab viel Raum für Selbsterfahrung. Das Üben von Achtsamkeit steht im Mittelpunkt. Denn nur wer selbst Erfahrungen mit Achtsamkeit sammeln konnte, kann im Anschluss kompetent als Trainer auftreten. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, mit Achtsamkeit in Berührung zu kommen - zum einen durch die formelle Achtsamkeit. Hier steht zum Beispiel der Atem, eine Körperempfindung oder die Beobachtung der Gedanken, Geräusche und Gerüche im Vordergrund. Die Übungen können im Sitzen, Liegen, Stehen ausgeführt werden. Bei der informellen Achtsamkeit werden die Übungen in den Alltag integriert. Es wird sich auf alltägliche Handlungen fokussiert wie z.B. beim Kommunizieren, Putzen oder Essen. Wichtig ist, dass die Aufmerksamkeit sich dauerhaft auf die Gegenwart bezieht.
Die Vielfalt der Achtsamkeit
Achtsamkeit kann also in vielfältiger Weise Anwendung finden, wenn man ihre Möglichkeiten nutzt. Ein immer größer werdender Bedarf liegt in unserem Berufsleben. Die Komplexität der Aufgaben, Informationsüberlast durch Digitalisierung, Leistungs- und Termindruck sowie Prozessgeschwindigkeit wachsen stetig. Achtsamkeitstrainings können mit dem Erlernen von Strategien zur Stressbewältigung und der Rückbesinnung auf sich selbst helfen, diesen Anforderungen besser begegnen zu können und das Stresserleben zu reduzieren. Eine Vielzahl an Unternehmen hat dies bereits erkannt und integriert solche Trainings unter anderem in die Führungskräfteentwicklung. Denn ein Mensch, der gelernt hat, sich selbst zu führen, kann dies bei anderen umso besser.
Auch im Bereich der Ernährung findet Achtsamkeit Anwendung. Durch die bessere Verbindung zum eignen Körper und Geist können wir unser Essverhalten positiv beeinflussen. So wird beispielsweise beim intuitiven Essen darauf hintrainiert, dass man sich auf seine körperlichen Signale verlässt. Während uns dies als Säugling bereits angeboren ist, müssen wir im Alter erst einmal wieder erlernen, die Signale zu erkennen und entsprechend zu reagieren. So können wir, wenn wir aufmerksam in uns hören, erkennen, ob unser Hunger körperlicher oder emotionaler Natur ist.
Aufgrund von kommunikativen Missverständnissen entstehen immer wieder Konflikte in Beziehungen, auf der Arbeit oder in der Familie. Das kostet uns Zeit, Geld, Lebensqualität und jede Menge Nerven – was langfristig zu Lasten der Gesundheit gehen kann. Um solche Konflikte aufzulösen oder sie im besten Falle gar nicht erst entstehen zu lassen, ist die „Wertschätzende Kommunikation“ von Marshall B. Rosenberg hilfreich. Die Grundvoraussetzung hierzu ist die achtsame Haltung uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber. Wenn wir uns unseres eigenen Innenlebens bewusster sind, können wir uns klarer ausdrücken und auch andere verstehen.
Modern Mindfulness
Dass Achtsamkeit in der heutigen Gesellschaft immer mehr Anklang findet und mit ihr nach Lösungen gesucht wird, der heutigen Schnellebigkeit entgegenzutreten, zeigt sich in verschiedenen Trends und Entwicklungen. Zum Beispiel die Verbreitung von Minimalismus in Form von Tinyhouses oder Sharing Economy. Indem das Wohlbefinden und damit die Zufriedenheit der Menschen durch Achtsamkeit gesteigert wird, sinkt das Bedürfnis nach materiellem Konsum. Es lässt sich jedoch nicht nur ein sinkender, sondern auch ein bewussterer Konsum feststellen. Beispielsweise wird beim Kauf der Nahrung oder Kleidung immer mehr Wert darauf gelegt, was im Einkaufswagen landet. Des Weiteren lässt sich eine immer weiter wachsende Naturverbundenheit feststellen. So findet sich das in Japan bereits seit mehreren Jahrzehnten praktizierte Waldbaden in der Freizeitgestaltung in den westlichen Ländern wieder.
Schließlich zeigt sich, dass die Achtsamkeitspraxis vielfältige, über diesen Artikel hinausgehende, Einsatzmöglichkeiten und nachhaltige Effekte mit sich bringt. Vor allem in Anbetracht der sich immer weiter entwickelnden Gesellschaft, ist es von Vorteil, solch ein Werkzeug an der Hand zu haben. Und das Schöne daran ist, wir alle können Achtsamkeit trainieren und den jeweils für uns passenden Weg finden.
Über Theresa Riesener:
Theresa Riesener, Psychologin (B. Sc.) und Heilpraktikerin legt ein besonderes Augenmerk auf den holistischen Therapieansatz, wobei der Mensch als Einheit von Körper, Geist und Seele betrachtet wird. Sie ist u.a. Studientutorin des Achtsamkeitstrainers und des Ganzheitlichen Ernährungscoaches an der ALH-Akademie und hat sich auf die ganzheitliche Ernährungsberatung spezialisiert.