Schutz vor Sekundärtraumatisierung
Tipps für mehr Selbstfürsorge als Schutz vor Sekundärtraumatisierung
von Angelo Ferkau
Arbeitest Du mit Menschen und in einem helfenden Beruf, bist Du viel mit (psychischem) Leid anderer Leute konfrontiert oder bist Du einer ständigen seelischen Belastung ausgesetzt und fühlst Dich oft gestresst, gereizt, niedergeschlagen oder gar erschöpft? Dann sollte das Thema Selbstfürsorge von großer Bedeutung und Relevanz für Dich sein.
Im nachfolgenden Blogartikel erfährst Du, was Sekundärtraumatisierung ist, warum gerade Menschen in helfenden Berufen davon verstärkt betroffen sind und Du bekommst Tipps, wie Selbstfürsorge als Prävention gut gelingen kann.
Definition Sekundärtraumatisierung
Eine Sekundärtraumatisierung beschreibt eine indirekte Traumatisierung, bei der es zu posttraumatischen Symptomen, wie z.B. Gefühle von Erschöpfung, Reizbarkeit oder Schlafstörungen, kommen kann, ohne direkt von einem Trauma betroffen zu sein. Dies ist der Fall, wenn wir als Personen indirekt, beispielsweise durch Erzählungen oder durch Sehen einer traumatisierenden Situation, an einem Geschehen beteiligt sind. Wenn das Erlebte – sprich das Gehörte oder Gesehene – nicht verarbeitet wird, kann es zu einer Sekundärtraumatisierung kommen.
In der ALH-Ausbildung zum Traumafachberater wird vermittelt, wie man anderen traumatisierten Menschen hilft.
Sekundärtraumatisierung in helfenden Berufe
In helfenden Berufen werden wir oft Zeuge von viel Leid und laufen dadurch Gefahr, verstärkt selber sowohl von Sekundärtraumatisierung als auch von Mitgefühlserschöpfung betroffen zu sein. Der erste Schritt raus aus diesen Belastungen kann dadurch erfolgen, dass wir uns dessen bewusst werden, um dann gegebenenfalls aktive Schritte zur Selbstfürsorge einleiten zu können.
Um festzustellen, wie belastet wir gerade sind, empfiehlt es sich, einen Moment innezuhalten und in sich und seinen Körper hineinzufragen:
- Wie fühl ich mich gerade?
- Was will ich jetzt gerade?
- Was brauche ich bzw. will ich gerade wirklich?
Antworten auf diese Fragen können einem Ideen geben, was man gerade für sich tun kann.
Window of Tolerance Model
Ferner kann es helfen das sogenannte Window of Tolerance Model im Hinterkopf zu haben, um so noch besser seine eigene Spannung einordnen zu können und noch klarer abschätzen zu können, wie akut es gerade einer Selbstfürsorge bedarf. Dieses Modell beschreibt drei Bereiche, in denen wir unseren Spannungszustand grob einordnen können: Komfortzone, Übererregung und Untererregung.
In der Mitte, der Komfortzone, befinden wir uns in unserem Toleranzfenster. Hier fühlen wir uns entspannt, sind aufmerksam, können gut lernen und befinden uns im Hier und Jetzt, haben inneren Zugriff auf unsere Ressourcen und können uns gut selbst regulieren. Die anderen Erregungszustände (Übererregung und Untererregung) sind zustände extremen Stresses. Bei der Übererregung springen Kampf- und Fluchtmechanismen an, bei der Untererregung geht es Richtung Resignation und Todstellreflex als Antwort auf einen massiven Stressor. Um eine gute Wirksamkeit zu erzielen, ist es erstrebenswert, so gut wie möglich in dem persönlichen Ressourcenfenster zu bleiben. Auch hierin gibt es aktiviere und passivere Zustände, sie sind aber alle noch in einem Bereich, in dem man gut handlungsfähig bleibt und sich recht schnell selbst regulieren kann.
Dennoch haben wir alle Momente, z.B. nach einer schlechten Nacht oder bei hohen beruflichen oder privaten Belastungen, dass wir aus dem Ressourcenfenster schießen. Dies ist normal und weitverbreitet. Mit zunehmender Bewusstheit für die eigenen Spannungszustände und einem guten Selbstfürsorgekasten können wir aber Schritt für Schritt lernen, diese Momente zu erkennen und frühzeitig gegenzusteuern. So kumuliert sich Spannung weniger, wenn wir mehr der Zeit im Hier und Jetzt verortet sind und durch die eigene Präsenz so ein Stück mehr Schutz vor Sekundärtraumatisierung erfahren.
Tipps & Tricks der Selbstregulation
Nachfolgend ein paar hilfreiche Tipps und Tricks, die Dir bei der eigenen Selbstregulation helfen können:
- Im institutionellen Arbeitskontext ist es immer ratsam, stetig auf seine Pausen zu achten. Die Pause sollte immer außerhalb des Geschehens genommen werden, um sich zu reorientieren. Nimm Dir einen Kaffee oder Tee oder gehe eine Runde spazieren.
- Eine Falldokumentation kann zur Distanzierung im Medizinischen, Pädagogischen, Therapeutischen oder Beratungskontext genutzt werden. Sie schafft neutrale Distanz, indem eine fachliche Sichtweise eingenommen wird, die sich auf fachlichem Standard und Sicherung des fachlichen Wissens berufen, sowie zur Reflexion dienen kann.
- Eine Supervision im Arbeitskontext oder ein Gespräch mit Kollegen kann ebenfalls eine Distanz bei Akutfällen schaffen.
- Ein Gespräch mit Freunden oder dem Partner kann ebenfalls helfen. Über das Mitteilen verarbeitet der Mensch. Bei den engsten Vertrauten wissen wir, das unsere Gefühle von Angst, Trauer oder Wut Platz finden und eine Daseinsberechtigung haben.
- Anti Stressringe oder Stressbälle können immer hilfreich sein und im Alltag stetig genutzt werden. Durch das Drehen eines Ringes am Finger oder das kneten eines Balles ist die Verortung im Alltag gut möglich.
- Ätherische Öle oder andere angenehme Düfte, die Du mit etwas Angenehmen verbindest, können als wunderbarer Stresspuffer dienen und Dich innerlich raus aus unangenehmen Situation holen. Verstreiche hierfür etwas ätherisches Öl in Deiner Hand und inhaliere durch Deine Hand, indem Du diese verschließt und langsam und bewusst durch die Öffnung Deiner Hand atmest. Du kannst Dir auch ein Tropfen ätherisches Öl an Deinen Gaumen reiben, um Dir ein Geschmackserlebnis zu bereiten.
- Ein bewusstes Atmen im Alltag sorgt ebenfalls für Entspannung und kann uns neu verorten. Bei Akutfällen kannst Du den Feueratem für Dich nutzen, indem Du durch die Nase tief einatmest und durch den Mund wie ein Drache ausatmest.
- Die Thymusdrüse zu klopfen kann Dir ebenfalls helfen, Stress abzubauen oder Dich im Hier und Jetzt zu verorten und neue Energie zu schöpfen. Die Thymusdrüse liegt hinter dem oberen Teil des Brustbeins, in der Mitte der Brust. Klopfe sie leicht oder etwas stärker mit Deinen Fingerspitzen.
- Meditation kann Dir helfen, Dich bewusster wahrzunehmen (Was spürst du? Was riechst du? Was hörst du?). Du kannst an verschiedenen Orten meditieren und verschiedene Hilfsmittel in Form von Begleitungen benutzen wie z.B. Klangschalen oder Räucherstäbchen. Lade Deine Gefühle oder Gedanken ein, nehme sie wahr, doch Du kannst sie auch wieder fortschicken.
Diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ich bin mir sicher, dass Du noch viele weitere eigene Werkzeuge hast. Für alle Werkzeuge gilt jedoch: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ So ist mein allgemeiner Ratschlag, sich bewusst Tätigkeiten zu widmen, um mehr Achtsamkeit und Selbstfürsorge zu betreiben. Gönn Dir bewusste ein „Time-Out“ oder „Me-Time“.
Eine weitere Hilfe insbesondere bei der Ausübung in helfenden Berufen kann auch fundiertes Psychotraumatologiewissen sein. Mit diesem Expertenwissen kannst Du leichter emotional schwierige Situation selbstsicherer und souverän meistern, weil Du genauer verstehst, um was es gerade geht und was in dieser Situation gerade wichtig ist. Was sonst vielleicht schnell ein Gefühl von Hilfslosigkeit und Ohnmacht in Dir ausgelöst hat, kann dank eines traumaspezifischen Skillkoffers durch Handlungssouveränität und Effektivität ersetzt werden.
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Über Angelo Ferkau
Angelo Ferkau ist staatlich anerkannter Erzieher mit den Schwerpunkten Inklusive-Pädagogik, Schulkind- und Elementarpädagogik und arbeite derzeit in einer inklusiven Kindertagesstätte.
Zudem ist er unter anderem angehender Traumafachberater, Traumapädagoge und Traumatherapeut i.A.
Bereits in jungen Jahren interessierte Angelo Ferkau sich für das menschliche Verhalten und fragte sich stetig "Warum handelt der Mensch so wie er handelt".
Er möchte nicht nur in der Zukunft traumatherapeutisch arbeiten, sondern auch pädagogische Fachkräfte schulen, unterstützen und begleiten und sein Wissen in Bezug auf die Psychotraumatologie und Pädagogik teilen.