Der tiefe Schmerz in Dir – Toxische Beziehungen | ALH
„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.“
— Phillipus Theophrastus Aureolus Bombast von Hoheinheim
In jeder zwischenmenschlichen Beziehung können Konflikte oder Missverständnisse auftreten. Das ist ganz normal und beruht auf unserer Verschiedenheit. Wir alle haben individuelle Bedürfnisse und Wünsche, die je nach Situation mal mehr und mal weniger zusammenpassen. Dies betrifft sowohl Liebesbeziehungen als auch jede andere Konstellation, was sie jedoch nicht automatisch giftig macht. Toxisch werden Beziehung erst, wenn über die Konflikte nicht offen gesprochen wird, aber auch eigene und fremde Bedürfnisse einfach ignoriert werden. Der tiefe Schmerz und die Verzweiflung im Inneren wachsen und trotzdem fällt es so schwer, diese Beziehungen zu verlassen. Toxische Liebesbeziehungen haben typische Symptome, die ich Dir hier gerne genauer beschreiben möchte:
Nicole weint, bittere Tränen rinnen ihr übers Gesicht. Ich lege den Arm um sie und sage „… ich bin für Dich da“ und drücke sie ganz fest. Es ist nicht das erste Mal, dass wir zwei so zusammensitzen und das, was sie mir erzählt hat, kommt mir auch leider zu bekannt vor. Es ist schon das dritte Mal in diesem Jahr, dass „es“ mit Christof aus ist. Ich hatte beim ersten Mal schon viele Worte von mir gegeben und beim zweiten Mal noch welche hinzugefügt. Nun hatte ich keine weiteren Worte mehr für sie, denn ich war irgendwie sprachlos. Meine schöne, liebe und so sympathische Freundin Nicole hängt an diesem Typen, den sie besser loslassen sollte. Und selbst wenn sich darüber noch streiten ließe, er tut ihr einfach nicht gut. Sie leidet. Es ist eine toxische Liebe.
Auf Wolke 7
Was war passiert? Nicole lernte Christof auf einer Party kennen. Er war der Typ, der super aussah, coole Sprüche machte und beruflich erfolgreich war. Er war witzig und ich konnte gut nachvollziehen, warum sich Nicole direkt in ihn verliebte. Es folgten einige Wochen im Himmel. Er wolle heiraten, Kinder kriegen und das am liebsten schnellstmöglich. Vorher müssten sie beide unbedingt mit dem Rucksack nach Thailand und eine Südafrikareise inklusive Safaritour machen. Das Zusammenziehen wurde auch schon geplant. Vielleicht nach anderthalb Monaten etwas gewagt, dachte ich, aber wenn es gefunkt hat. Warum nicht? Man braucht schließlich Ziele in einer Beziehung.
Er schenkte ihr Blumen, schickte täglich viele Nachrichten mit Smilies und Herzchen. Gestand ihr auf romantische Weise seine Liebe und sagte, dass ihm das so mir einer Frau noch nie passiert wäre. Sie sei was Besonderes. Er wäre so glücklich mit ihr. Sie sei die tollste Frau der Welt. Nicole war so glücklich, noch nie wurde sie so geliebt und begehrt. Sie fühlte sich wie in einem Hollywoodfilm im besten Happy End Moment.
Der Absturz
Nach Wochen voller Beziehungsglück kam es plötzlich zur Wende. Es tauchte ein „Problem“ auf, Lea. Lea war seine Ex, die Freundin vor Nicole. Sie waren damals ein halbes Jahr zusammen, dann trennte sich Lea von ihm. Warum, weiß ich nicht. Allerdings hatte sie nun irgendein Problem auf der Arbeit und nahm angeblich deshalb wieder Kontakt zu Christof auf. Mit ihm könne sie so gut über alles reden, erklärte er Nicole. Alles rein freundschaftlich, beteuerte er immer wieder.
Nicole empfand den Kontakt als störend, gestand sie mir in einem ruhigen Moment. Sie dachte aber, dass sie damit als moderne Frau umgehen können müsste. Christof zog sich in der Zeit immer mehr zurück. Er hatte auf einmal viel auf der Arbeit zu tun, brauchte Zeit für sich, seine Hobbys und Freunde. Wurde insgesamt abweisender und kühler, zumindest hatte Nicole das Gefühl. Darauf angesprochen, stritt er es ab. Als Christof jedoch eines Abends nicht wie verabredet zu Nicole kam und nicht mehr an sein Handy ging, war sie verunsichert. Was war los? „Er hat bei Lea geschlafen“, erzählte mir Nicole weinend am nächsten Tag am Telefon. Ich war geschockt. Nicole war es auch. Christof beteuerte, dass da nichts war und Lea nur dringend reden wollte.
Das war einfach zu viel für Nicole. „Die ganze Nacht reden? Nicht anrufen können? Was war das für ein fesselndes Gespräch?“ Nicole war wütend. Die beiden stritten tagelang, wobei Christof schnell „dicht“ machte und gar nicht mehr sprach. Nicole beendete schweren Herzens, die so viel versprechend gestartete Beziehung.
Zwei Wochen später meldete er sich wieder bei ihr. Es täte ihm leid, er hätte „irgendwie kalte Füße bekommen“, es ging doch so schnell mit beiden und er würde sich nicht mehr mit Lea treffen. Das klang gut, Nicole stimmte zu und beide waren wieder glücklich. Die Beziehung lief ein paar Monate weiter. Die positive Stimmung vom Start war wieder fühlbar für Nicole, bis sie zufällig genau in den Moment auf Christofs Handy schaute als eine Nachricht erschien, die nicht für ihre Augen bestimmt war. Sie war irritiert und sprach ihn darauf an. Er meinte, da wäre nichts.
Berg- und Talfahrt
So ging es weiter, es gab regemäßig „komische“ Zwischenfälle, die Nicole zunehmend verunsicherten. Sie machte ein weiteres Mal Schluss, nachdem sie Christof ziemlich eindeutig auf einer Gartenparty mit einer Unbekannten sah. Die beiden hatten sich noch nicht mal große Mühe gemacht, sich zu verstecken. Und wieder erklärte ihr Christof, dass er Luft zum Atmen brauche, keine die so klammert wie Nicole. Diesmal sei wirklich Schluss, es reiche ihr, beteuerte Nicole. Christof meldete sich wieder. Liebe Worte, Blumen und ein Gutschein für einen gemeinsamen romantischen Wochenendtrip erweichten ihr Herz schlussendlich. Die Beziehung ging in eine weitere Runde. Schließlich liebten sich beide so sehr.
Nicole wurde während der Beziehung immer trauriger. Meine einst so fröhliche Freundin litt an ihren Gedanken und Gefühlen, an dem Unverständnis ihres Partners. Sie beschrieb es als tiefen inneren Schmerz, den sie fast körperlich fühlen konnte. Es gab regelmäßig gute Beziehungsphasen und im Anschluss wieder Zeiten, die schrecklich für sie waren. Der ständige Wechsel von Hoch- und Tiefphasen machte sie emotional mürbe. Sie konnte nicht mit und auch nicht ohne ihn sein, wie eine Droge, auf deren Rausch sie nicht verzichten konnte. Rationale Erklärungen für ihr Verhalten und warum sie blieb, fand sie nie. Die zu Beginn gemachten Versprechungen wie Zusammenziehen, Heirat und Kinder oder die wundervollen Reisen verschwanden wie Wolken am Himmel und wurden nicht erfüllt. Jedes Mal, wenn Nicole dachte, sie seien sich ganz nah, kam der nächste Knall und sie flog in hohem Bogen aus dem gemütlichen Nest der Liebe.
Nun zurück ins Hier und Jetzt. Mittlerweile hat sich Nicole beruhigt. Ich reiche ein weiteres Taschentuch, sie putzt sich die Nase und schaut mich fragend an „… was mach ich denn nun?“. Freunden Beziehungstipps zu geben, ist immer eine heikle Sache. Gerade, wenn man geraten hat, diesen Kerl doch dringend zu verlassen, muss man damit rechnen, dass man genau diesen Herren zwei Wochen später wieder herzlich zu einem gemeinsamen Videoabend begrüßen darf. Fingerspitzengefühl ist gefragt. Aber vorerst möchte ich gerne einen allgemeinen Blick auf toxische Beziehungen und die zugehörigen Verhaltensweisen werfen.
Formen und Anzeichen der toxischen Beziehung
Eine toxische Beziehung wie oben beschrieben, hat viele Erscheinungsformen. Nicht alle laufen gleich ab, auch wenn viele Symptome ähnlich sind. Meist gibt es in toxischen Beziehungen einen sehr bindungsorientierten Part, der sehr viel Nähe möchte und klammert. Auf deren anderen Seite steht ein eher bindungsängstlicher bzw. -vermeidender Partner, der sich regemäßig zurückzieht und die Beziehung lieber mit mehr Distanz führen möchte. Beide verstärken ihre gegenseitigen Verhaltensmuster fortwährend.
Diese Verhaltensdynamiken sind nicht auf Geschlechter festgelegt, beide Geschlechter können beide Verhaltensweisen zeigen. Denkbar ist es, dass sogar eine Person mit unterschiedlichen Partnern unterschiedliche Verhaltensweisen aufzeigt. Also in einer Beziehung eher bindungsängstlich agiert und in einer anderen Beziehung eher klammert.
Toxische Beziehungen starten meist mit einer extremen Verliebtheit und ein Partner überschüttet den anderen geradezu mit Liebe und Aufmerksamkeit. Zu einem sehr frühen Beginn werden Liebesbekundungen ausgesprochen, da würden „normale Paare“ gerade die Telefonnummern austauschen. Aber von der Welle des Glücks und der Zuwendung getragen, wird diese Verhaltensweise nicht als ungesund realisiert. So erging es auch Nicole mit Christof. Man spricht sogenanntem love bombing, also das massive Überschütten mit Liebe und Aufmerksamkeit.
Gleichzeitig werden Dinge versprochen, die nicht gehalten werden können. Dieses als Future faking bezeichnete Verhalten, hat das Ziel, Bedürfnisse sofort befriedigt zu bekommen, ohne lange darauf warten zu müssen oder die Konsequenzen dafür wirklich zu tragen, z. B. das bei Affären versprochene Verlassen des Ehepartners oder wie bei Nicole das Heiraten, Zusammenziehen und Kinderkriegen.
Eine weitere toxische Verhaltensweise in Beziehungen ist die ständige geistige Beschäftigung mit der Beziehung an sich, dies wird auch gerne nach außen kommuniziert. Nicole hatte bald kein anderes Thema mehr, wir bzw. sie redete stundenlang über die Beziehung zu Christof. Es war ihr einziger Fokus im Leben geworden. Gleichzeitig waren Treffen mit ihr eine gewisse Rarität, denn Nicole hatte nur noch Zeit für Christof, auch wenn er sie regelmäßig versetzte.
Zwischen Nähe und Distanz
Wie vorher beschrieben, folgt in toxischen Beziehungen typischerweise auf eine Phase der Nähe und Zuneigung, eine Phase der Distanz. Dies geschieht in toxischen Beziehungen plötzlich und ohne Erklärung. Es kann auch sein, dass in den Momenten dritte Personen wie Expartner wieder auf der Bildfläche erscheinen, um die Verbindung zu destabilisieren und unverbindlicher zu machen. Auch regelmäßige Trennungen also die On-/Off-Beziehung gehört zu den Varianten einer solchen Beziehung.
Jede Beziehung hat Dynamiken von Nähe und Distanz, aber in leichteren Ausprägungen. In guten Beziehungen können die Partner darüber sprechen und Lösungen finden. Es entsteht nicht das emotionale Drama und der tiefe Schmerz, da eine regelmäßige Kommunikation auf Augenhöhe erfolgt.
Es gibt noch viele weitere Aspekte, die eine toxische Beziehung kennzeichnen. Die wichtigsten Punkte findest Du hier:
Woran merkst Du, dass Du in einer toxischen Beziehung bist:
- Love bombing: Du wirst zu Beziehungsbeginn massiv mit Liebe überschüttet- Future faking: Dir werden Versprechungen gegeben und nicht gehalten
- Isolation: Nur noch Dein Partner steht in Deinem Lebensfokus
- Obsessives Nachdenken: Du grübelst ständig über die Beziehung
- Gaslighting: Dein Partner führt Dich in die Irre mit Lügen oder Verdrehungen der Tatsachen
- On-/Off-Schleife: Ihr trennt Euch ständig und kommt wieder zusammen
- Heiß/ Kalt-Wechsel: Auf Phasen intensiver Nähe erlebst Du plötzlich emotionale Kälte
- Scheiternde Beziehungsrettungsversuche: Du liest Ratgeber, Ihr macht eine Paarberatung, und Du versuchst vieles mehr, nichts hilft langfristig
Die Frage ist also, warum gehen die betroffenen Personen nicht einfach aus diesen toxischen Beziehungen. Es gibt viele individuelle Ursachen, die meist in der Kindheit begründet sind. Anzumerken ist auch, dass durch den ständigen Wechsel von Tief- und Hochphasen toxische Beziehungen eine Art Suchtpotential haben.
Wege aus der toxischen Beziehung
Nicoles Frage, was sie nun tun kann, habe ich nicht unbeantwortet gelassen. Die beste Lösung ist eine Therapie oder Beratung bei einem Heilpraktiker, Paarberater, Psychologischen Berater oder einem Heilpraktiker für Psychotherapie. Die Betroffenen müssen an der Ursache und nicht an den Symptomen arbeiten. Denn hier hilft es nicht, die Kommunikation zu verbessern. Natürlich, das ist schonmal ein Anfang. Bringt aber auf lange Sicht nicht den erwünschten Erfolg. Die Verhaltensweisen auf beiden Seiten müssen beleuchtet und analysiert werden. Hier liegt die langfristige Lösung.
Im ersten Schritt ist es schonmal gut zu merken, dass Du überhaupt in einer solchen Beziehung bist. Die Lösung liegt nie in der Änderung Deines Partners, vielmehr ist die wichtige Frage, warum Du selbst in dieser Beziehung gelandet bist und was dazu geführt hat. Eine Trennung der toxischen Verbindung ist unumgänglich. Du kannst in dieser nie richtig heilen, so schwer das auch zu akzeptieren ist.
Die Arbeit mit dem Inneren Kind und an der mangelnden Selbstliebe sind oft gute erste Schritte, die Erfolge bringen. Auch ist das Erlernen von Entspannungstechniken, Meditationen oder Achtsamkeitsübungen hilfreich, um zukünftig mit den eigenen Gefühlen besser umgehen zu können. Aus naturheilkundlicher Sicht können ergänzend zu psychotherapeutischen Maßnahmen z. B. noch Bachblüten einsetzt werden. Es gibt aber auch weitere Medikamente, die zusätzlichen Nutzen haben, das muss individuell vom Therapeuten entschieden werden.
Trainern, Beratern und Therapeuten stehen viele Tools zur Verfügung, auf diese Thematik zu schauen und diese zu bearbeiten, der wichtigste Schritt ist jedoch immer der erste, zu erkennen und zu akzeptieren, dass Du in einer toxischen Beziehung steckst und Hilfe brauchst.
Was hilft Dir, wenn Du in einer toxischen Beziehung bist oder warst:
- Schau hin: Erkenne und akzeptiere Deinen Anteil in der toxischen Beziehung- Trenn Dich: Eine Trennung ist unumgänglich und geh nicht zurück
- Such Dir Hilfe: Eine professionelle Begleitung hilft Dir, mit dem Erlebten fertig zu werden und nicht zurück zu gehen
- Lerne Dich kennen: Arbeite mit Deinem Inneren Kind und verbessere Deine Selbstliebe. Nutze eine Psychotherapie.
- Lass los: Beginne mit täglichen Meditationen, Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen
- Weitere Tools: Bachblütentherapie, Phytotherapeutika, Aromatherapie, Homöopathie, Dankbarkeitsübungen inkl. Happiness Training, Resilienztraining, Yoga, Sport und Selbsterfahrungserlebnisse
Nachdem ich Nicole meinen Rat mitteilte, ist sie einverstanden, sich diesmal professionelle Hilfe zu suchen. Wir schauen gemeinsam im Internet nach einem Berater, für diese spezielle Thematik und finden einen. Ich rufe ihn an, erkläre die Dringlichkeit. Er versteht es und gibt Nicole einen Tag später einen Notfalltermin. Ich freue mich für sie, endlich ist sie bereit auf ihren Schmerz zu schauen und Hilfe bei der Aufarbeitung anzunehmen. Ich wünsche ihr, dass sie ihr neuer Weg glücklich macht.
Über Katja Witulla:
Als medizinisch-technische Assistentin verfügt sie über fundierte medizinische Kenntnisse, die sie in ihrer Ausbildung zur Heilpraktikerin weiter vertiefte. Seit 2010 ist sie Heilpraktikerin. Ihre Dozententätigkeit startete sie in einer Heilpraktikerschule in Düsseldorf. 2012 hat sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und ist seitdem als Fachtutorin im ALH-Team im Bereich der Studiengangskonzeption und -betreuung in Köln tätig und unterstützt voller Engagement angehende Heilpraktiker dabei, die Überprüfung beim Gesundheitsamt erfolgreich und mit Freude zu bestehen.